NHA & Psyche & das Leben - @Maren und Jarl

KAtharina @, Camburg/Thüringen, Mittwoch, 06. November 2013, 22:53 (vor 3816 Tagen)

Psyche und NHA

Wieso ist es für uns so viel schwerer?
Ich habe mich oft mit Sehbehinderten und Blinden unterhalten, die ein anderes Krankheitsbild aufweisen als die klassischen Netzis.

Menschen, bei denen eine Erblindung absehbar ist.
Und Ihre Frage war wiederholt, warum wir Netzis so oft psychische Probleme in dieser Größenordnung haben.
Friedrich, erinnerst Du Dich, Du hast mich das auch gefragt...

Ich habe da lange drüber nachgedacht:

Wenn jemand die Diagnose bekommt zu erblinden, fällt dieser Mensch in ein schwarzer Loch und die Welt hört auch sich zu drehen...
Aber nach diesem Schock dreht sie sich doch weiter, und man kann Anfangen, dieses Schicksal zu verarbeiten und zu akzeptieren.
Der Super-GAU wird passieren, damit muss man sich abfinden oder untergehen.

Bei uns Netzis ist es anders.

Wir bekommen die Diagnose NHA und damit aber auch die Hoffnung, sagen wir nicht auf Heilung, aber auf Hilfe durch eine OP, und somit die Hoffnung, unser Sehvermögen zu einem gewissen Teil zu erhalten.

Aber bei Vielen von uns hier reicht eben eine OP nicht, und es kommen immer neue Ablösungen, Katarakt, Glaukom oder Sekundärglaukom mit Folgeoperationen, Öl in der Vorderkammer, Nachstar, Gliosen etc.

Wir hoffen immer und immer wieder.
Wir kämpfen immer wieder um unser Augenlicht.
Jedes Mal wieder setzten wir uns aufs Neue mit unseren Ängsten und unserer unabsehbaren Zukunft auseinander.
Immer und immer wieder haben wir die psychische Belastung, die uns dann irgendwann in die Knie zwingt.
Wie oft kann man diesen Druck aushalten, ohne ernsthaft psychische Probleme zu bekommen?
Dieses ständige Hoffen, Kräfte mobilisieren und Verlieren macht uns irgendwann fertig, den einen früher, den anderen später.
So etwas hält selbst die stärkste Psyche nicht ewig aus.
Und dann ist es Zeit, dies einzusehen, und sich Hilfe zu holen.

Maren, Jarl,
wenn ich Eure Einträge lese, kann ich Euch nur aus meiner eigenen Erfahrung den Rat geben, Euch Hilfe bei einem Psychologen und evt. Psychiater zu holen.
Ihr lebt Euer Leben nicht mehr, und seit nur noch von Euren Ängsten beherrscht.
Nichts macht Euch mehr Freude, nichts kann Euch noch ablenken.
Das ist kein Leben, sondern nur noch ein billiger Abklatsch von dem, was sich LEBEN nennt.

Diese Ängste zerstören ALLES.
Ihr habt Angst zu Erblinden,
Angst vor neuen Operationen,
Angst vor den Schmerzen.
Angst Euch vor euren Freunden so zu geben wie Ihr seit.
Angst vor der Angst...

Wehrt Euch dagegen!
Das ist EUER Leben.
Ihr habt wahrscheinlich nur dieses EINE LEBEN,
also laßt Euch nicht von Euren Ängsten beherrschen, sondern beherrscht die Angst.
Das kann man lernen.

Und glaubt mir, dieses Leben ist zu wertvoll,
um es sich durch Ängste zerstören zu lassen.

Niemand hat uns bei unserer Geburt garantiert, dass unser Leben einfach wird, auch wenn wir genau das Alle das immer für uns beanspruchen.
Wir können nur das Annehmen, was uns zugedacht ist, und es ertragen und tragen, mit so viel Kraft, Stolz und Würde wie es geht.
Das sind wir uns selbst schuldig.

Es gibt schlimmeres als Netzhautablösung und Blindheit.
Es ist grauenvoll, es ist schrecklich -
aber es bringt uns nicht um.
Und wir können lernen, damit zu leben, und das Beste daraus zu machen.

Ich weiß nur zu genau, dass Eure Ängste keine Hirngespinnste sind sondern Hand und Fuß haben,
da ich sie selber kenne und sie jahrelang meine Begleiter waren, Tag und Nacht.
Das sind sie auch heute noch manchmal, aber ich weiss, dass es eine Zeit gibt, in der es mir wieder besser geht.
Ich habe wahnsinnige Angst, die Gesichter meiner Kinder irgendwann nicht mehr sehen zu können.
Allein jetzt im Moment diesen Gedanke zuzulassen schnürt mir die Kehle zu und mir kommen die Tränen.
Aber ich lasse mich davon nicht beherrschen.

Ich weiß, dass ich hier im Forum Menschen habe, die mich verstehen, bei denen ich Verständnis und Hilfe bekomme, einfach weil es ihnen ähnlich geht.
Ich bin (Ihr könnt die Geschichte in den Erfahrungsberichten nachlesen) 2002 am Ende gewesen,
und konnte keinen Schritt mehr weiter.
Depressionen und Angstzustände, Panikattacken.
Alles im Novermbergrau, alles abgestorben, kein Lachen, keine Freude mehr.
Ich wollte so nicht mehr weiterleben, und habe mir Hilfe geholt, eine Verhaltenstherapie gemacht und Pillen geschluckt.
Und diese SHG gegründet, da ich mir dachte, dass ich nicht die Einzige sein kann mit diesen Problemen.

Maren, wenn Du beim Seminar dabei gewesen wärst,
hätte Dir bestimmt Norma weiterhelfen können, Deine Ängste etwas abzubauen, Sie hat uns alle enorm durch Ihre tolle und taffe Art beeindruckt und durch Ihre große Lebensfreude - und Norma ist blind.
Sie ist berufstätig, hat Freunde, eine Beziehung und eine eigene Wohnung.
Es geht alles- aber anders als früher.

Es ist ein langer Weg, aber er lohnt sich.
Wenn ich Euch dabei ein wenig helfen kann oder Euch begleiten kann, werde ich das gerne tun.

--
Liebe Grüße
Katharina


Ich bin diesen Weg gegangen, um Euch zu zeigen wie es geht…


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