Re: Wann wieder richtig sehen?

rop, Sonntag, 01. Juli 2007, 18:11 (vor 6146 Tagen) @ Kristin


Als Antwort auf: Re: Wann wieder richtig sehen> von Kristin am 01. Juli 2007 15:10:31:


Hi Kristin,
ich sehe schon, wie es dann so immer ist, wenn einen eine Sache trifft, gibt es erst mal viel zu regeln und noch mehr Sachen schwirren einem im Kopf herum. Deshalb möchte ich auf Deinen Beitrag im Einzelnen eingehen:

Kurzsichtigkeit und Möbelschleppen, das Tragen, Heben und Wuchten von schweren Gegenständen mögen vielleicht ausreichend gewesen sein, die akute Netzhautablösung zu verursachen....
Bei einer Kurzsichtigkeit (Achsenmyopie) ist der Augapfel zu lang, man sagt, ein noralsichtiges Auge hat 23 oder 24 mm Länge, ein Millimeter mehr entspricht dann in etwa 3 Dioptrien.
Oder es gibt eine Brechungsmyopie, bei der die Brechkraft der Linse zu hoch ist. Ergebnis: Sehstrahlen vereinigen sich vor der Netzhaut.
Oder eben Brechungs- mit Achsenmyopie kombiniert. Interessehalber kann man die Augapfellänge herausbekommen mit einer Ultraschallmessung, nur so infohalber, aber ich glaube, das ist bei dir medizinisch nicht wichtig (ich hatte -22/-23 dpt. , da ist das schon was anderes...)

und vielleicht reichen - s. Netzhautforum Verhaltenstipps, Startseite, evtl. 2 mm Augapfellänge mehr, das wären dann ja schon 25 - oder 26 mm (ich habe 27 und 28, d.h. der Rest ging auf die Linse) ja schon aus, um in die Risikogruppe Netzhautablösung reinzurutschen.


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unterschiedlich große Pupillen, Sehen etc.: Eine Netzhaut-OP ist für das Auge natürlich eine schwerere Sache und es braucht einige Wochen oder Monate, um sich zu erholen. Ich wurde beispielsweise mit Visus 10 % entlassen und brauchte ein gutes halbes Jahr, bis er sich auf 40% und 60% auf dem anderen Auge wieder berappelte.

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Soviel ich mitbekommen habe, ich habe hier auch mal einen Beitrag zu unterschiedlich großen Pupillenweiten geschrieben, wenn sich die Pupillenweite nach einigen Monaten nicht berappelt hat und bei beiden Augen immer noch mit sehr großem Unterschied unterschiedlich ist bzw. das operierte Auge doof reagiert mit dem Einstellen der Pupillenweite, dann könnte das auf Dich zutreffen, was in meinem Beitrag steht (Zitat aus Augenheilkundebüchern).

Auf jeden Fall war die Netzhaut-OP für das Auge - und natürlich die Ablösung vorher - ein großer Stress und es braucht einige Zeit, um sich zu beruhigen. Die Schmerzen werden auch besser werden bzw. weggehen. Auch das Gehirn wird lernen, damit umzugehen und die Sehstörungen werden weniger werden.

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Dein Arzt war, schätze ich, menschlich oder psychologisch etwas überfordert... Ich kann mich an meine damalige Situation erinnern. Die Ärztin, die die Diagnose stellte, fiel, nachdem sie mir in den Augenhintergrund geschaut hatte, buchstäblich rückwärts vom Stuhl, und das nach jahrzehntelanger Berufserfahrung... es war halt Frühgeborenenretinopathie in einem Stadium, in dem sofort gehandelt werden musste und dazu noch ... das habe ich jetzt im Frühjahr erfahren, hat sie Knochenkörperchen entdeckt, die schon damals auf eine RP hindeuteten, von der ich bis jetzt nie wieder etwas gehört habe...
wie auch immer, die Diagnose Netzhautablösung, riesige Löcher, drohende Erblindung etc. war für uns so schockierend, dass wir das in der Richtung verarbeitete haben, nie wieder zu dieser Ärztin zu gehen, obwohl sie subjektiv und objektiv das Richtige gesagt und getan hat, jeder Arzt hätte dasselbe gesagt und getan, die Diagnose war für uns so schockierend, dass es für uns wie ein Vertrauensverlust zu der Ärztin war. Nach der OP waren wir bei einem anderen Arzt, damals mit Visus 10 %, der war hilflos und überfordert und wir wechselten wieder.

Wenn man eine etwas heftigere Diagnose bekommt, braucht man selbst und die Ärzte auch schon sehr viel Fingerspitzengefühl oder muss zwischen den Zeilen lesen oder sich auch selbst informieren.

Andersherum: Wir erwarten, dass die Ärzte die Bilder richtig sehen, richtig interpretieren und daraus die richtigen Schlüsse und Therapiemaßnahmen ziehen, die dann auch bitte zum ERfolg zu führen haben.

In der Medizin oder im Alltag ist nix unmöglich und auch dort lassen sich viele Dinge nicht einfach in Schubladen stecken und nach Schema F handeln.

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Kindergartenplatz: Dein Sohn hat Anspruch auf einen und derweil ziehen viele Kindergärten schon ab zweieinhalb Jahren! Er wird mit Sicherheit einen bekommen. Die meisten Kindergärten nehmen hauptsächlich zum August auf, zum Schuljahresanfang oder innerhalb des Jahres wegen Umzugs oder Kündigung. Und wenn Ihr in einer größeren Stadt wohnt, wird sich mit Sicherheit etwas ergeben!

... damit einen Arbeitsplatz bekommen...:
Kehrst du denn zu deinem alten Arbeitgeber zurück>

Dann erst recht: GdB beantragen...

... auf dem zweiten Auge nicht mehr operieren lassen....
Ich denke, diese Einstellung ist nur aus deiner momentanen Lage, alles ist noch zu frisch, zu erklären. Wenn du das zweite Auge bei einer Netzhautablösung, die ja auch nicht kommen muss, die überhaupt nicht kommen muss, wenn du die Hinweise der Hauptseite hier bei Umgang mit Netzhautablösung beachtest, also von jetzt an nix Schweres mehr heben, Deinen Kleinen eigentlich auch nicht... , nicht operieren liessest, dann würde das dann ähnlich ablaufen, wie du es gerade kennengelernt hast.
Falls dann mal etwas sein sollte, es gibt immer noch die "harmloseren" kleineren Sachen, die man mit einem Laser schnell und schmerzlos abriegeln lassen kann. Um Netzhautveränderungen zu beobachten, bist du ja sowieso in engmaschiger augenärztlicher Kontrolle... bei mir war das anfangs vielleicht alle paar Wochen, dann vielleicht vierteljährlich und bald halbjährlich. So ist es bis heute geblieben. Also mach dich nicht verrückt, bedanke dich bei deinen beiden Augen, dass sie funktionieren bzw. gut funktionieren und falls Veränderungen da sind, wird man sie am Netzhauthintergrund sehen können.

Haushaltshilfe, ja ich glaube, das gibt es... und wenn die bocken bei der Krankenkasse, dann verlangst du halt den Gruppenleiter.
Ein zweieinhalbjähriges Kind muss halt oft gehoben und gewickelt werden, will auf den Arm, dann gibt es mehr Wäsche etc. pp .... , Spielplatz, Geräte rauf, Geräte runter, Buggy rein und raus.... , müde....

Behindertengrad:
Bei den Augen bemisst sich der GdB hauptsächlich nach dem Gesichtsfeld (manuell-kinetisch), nicht automatisch und dem Visus mit bestmöglicher Korrektur (Landoldt-Ringe), keine Buchstaben und Zahlen, auch des Blickfeldes, und da kann es sehr wohl sein, dass man dir evtl. Pi mal Daumen Folgendes gibt:
Siehst du auf einem Auge beispielsweise nichts, auf dem anderen aber 100 %, hätttest du nach der Tabelle, die ich vorliegen habe , 30 %. Das Ganze staffelt sich dann weiter. ... Beispeilsweise ein Auge sieht 50 %, das andere 0, so ergibt das 40 %. Ein Auge sieht 40 %, das andere 0, so ergibt das 50 %.-

Augenmuskellähmungen, Strabismus, wenn ein Auge wegen der Doppelbilder vom Sehen ausgeschlossen werden muss: 10 - 30 %

Gesichtsfeldausfälle
so richtig passt da nix, sinngemäß könnte angewendet werden:
"allseitige Einengung bei normalem GEsichtsfeld des anderen Auges - auf 10 Grad Abstand vom Zentrum - 10 %, auf 5 ° Abstand vom Zentrum - 25 %. "

Beispielsweise 10 Sachen mit 10 % addieren sich auch nicht zu 100 %.

Ich will damit nix sagen, die richtige Einschätzung käme dann vom Versorgungsamt per Bescheid, ich will auf jeden Fall damit sagen, dass für dich da schon etwas herauszuholen ist.

Falls du dann 30 % bekommen solltest, kannst du dich unter bestimmten Bedingungen mit Schwerbehinderten gleichstellen lassen, dann wirst du arbeitsrechtlich so geschützt, als wenn du 50 % hättest.

***

Dann hat die ganze Sache natürlich noch eine psychologische Komponente.

Wie das dann so ist, ist es die Haltung selbst zu der Sache, das Selbstwertgefühl und das Ganze hat natürlich Auswirkungen auf die mitmenschlichen Beziehungen, also du zu den anderen und die anderen zu dir.

Der Verarbeitungsprozess bei Schicksalsschlägen läuft so ab:
- Aufgewühltsein, warum ich....> Depression.... Auseinandersetzung, Ablehnung, Suchen nach Alternativen oder Grashalmen, Wegleugnen, Akzeptanz, Integrieren in die Persönlichkeit.
Auf einer amerikanischen Seite habe ich mal gelesen, sinngemäß, "I can become a ROP-person" (also vollständig eingenommen vom Schicksal) "or a person who has ROP" (also die Sache akzeptieren, in sich integrieren, daran wachsen und Neues kennenlernen und weiterleben, nur anders oder bewusster oder..... )
(ROP=Frühgeborenenretinopathie oder retinopathy of prematurity).

Die Sache mit den psychischen BEwältigungsschritten habe ich jetzt so Pi mal Daumen formuliert, viel besser formuliert, viel feinsinniger und facettenreicher findest du es in :

Cordula von Brandis-Stiehl, Wenn die Sehkraft schwindet, Urachhaus 2001

Zur Einführung/Unruhige Zeiten/Begleiter zu Zeiten des Umbruchs/Hingenommene Sehverschlechterung/Wer bin ich nun> Standfestigkeit oder Flexibilität / Begegnungen und zwischenmenschliche Verstrickungen/Seheinbußen in der Familie / Menschliche Macht oder Ohnmacht / Von "lieben" und "bösen" Ärzten / Helfen Alkohol oder Tabletten>/ Lebenspraktische Fähigkeiten / Orientierungshilfen / Wie viel sollen sehschwache Menschen mit Sehrest erspähen> / Unterwegs / Freizeitgestaltung / Stolpersteine im Werdegang / Abtragen der Stolpersteine / Integriertes Lernen als idealer Ausweg> / Ältere sehbehinderte Menschen / Seh- und Hörbehinderung / Hilfen und Hindernisse bei besonderen Persönlichkeitsstrukturen / Stärkende Quellen / Fachliche Hilfestellungen / Es gibt viel zu tun, packen wir's an / Schlussbetrachtungen / Ergänzende Literatur, Adressenliste

***
Wolfgang P. Rehmert: Diagnose ERblindung. Aufsätze und Vorträge. Books on demand 2005.
Hieraus der Vortrag: Wege zur inneren Bewältigung, vom Autor, vielleicht irgendwo im Internet zu finden.

(Die Strategien, die ich oben umrissen habe)

Der REst des Buches ist für Dich Gott sei Dank uninteressant!

***
Eva-Maria Glofke-Schulz, Wolfang P. Rehmert: Die zerbrochene Kugel,
Psychosozial-Verlag 1999

hieraus das Kapitel:
Eva-Maria Glofke-Schulz: Psychotherapie als Hilfe bei der Bewältigung degenerativer Netzhauterkrankungen und ihrer Folgen
***


Egal ob Retinitis Pigmentosa oder sonstwas, der Titel ist natürlich sehr abschreckend, die Verarbeitungsprozesse und Auswirkungen auf die BEziehungen sind immer die gleichen, die Autoren sind Psychologen und selbst BEtroffene.

Vieleicht findest du die Beiträge auch im Internet, manchmal werden solche Sachen auch als Vortrag gehalten und erscheinen dann irgendwann einmal in einem Buch.


Es ist ein Auseinandersetz7ungsprozess, den du und deine Familie gemeinsam zu bewältigen habt.

Lass dich jetzt nicht von der Situation überwältigen und die BEziehungssituation (s.o.) infrage stellen (s. Dein Link zum anderen Forum).
Wärest du alleinerziehend, müsstest du 7 Tage die Woche, 24 Stunden lang, topfit sein, könntest dich bei niemandem ausruhen und Kraft suchen, Dein Kleiner ist zum Kraftsuchen nicht der richtige Partner, der will selbst angekuschelt werden, müsstest Geld verdienen, Auto fahren, alle Termine alleine erledigen, Kind bringen und abholen etc. ... alles alleine packen, viel Stress, gönne dir, deinem Körper und deinen Augen Schonung und baue dir ein Netzwerk auf, guten Freundeskreis, gute Beziehungen und vor allem eine gute und verläßliche BEziehung zu deinem Partner, ihr braucht euch gegenseitig und könnt beide daran wachsen!

Ach ja, Dein Kleiner wächst da auch rein... Meine muss beispielsweise lernen, dass ich sie sehr schwer wiederfinde, wenn sie einfach wegläuft, wegen der zunehmenden Gesichtsfeldeinschränkung, die ich habe. Sie muss lernen, dass sie immer bei mir bleibt.


Das war jetzt alles sehr viel und sehr persönlich, ging mir spontan alles durch den Kopf, als ich deinen BEitrag las,

lg, daumendrückend,
rop



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